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Aktuelles

SPD
24.03.2014

Heiko Maas: Wir machen Verbraucher stark!

Wir machen Verbraucher stark!

Von Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz

I. Die Zeit der Appelle ist vorbei

Die Verbraucherpolitik in Deutschland steht vor einem Neustart, denn wir stellen sie vollkommen neu auf - programmatisch, organisatorisch und personell. Die bisherige schwarz-gelbe Politik redete viel vom "mündigen Verbraucher" und der "Konsumfreiheit" - ganz so, als ob Verbraucher vor zu viel Schutz durch den Staat bewahrt werden mussten. Oft waren diese Floskeln nur eine Ausrede für politische Tatenlosigkeit und häufig war die Politik realitätsfern. Die Vorstellung, man müsse Verbraucher nur über alle Einzelheiten eines Geschäfts oder Produkts detailliert informieren, dann könnten sie schon rationale Entscheidungen treffen, verfehlte die Wirklichkeit. Verbraucher betrachten den Informationsgehalt von Produktverpackungen im Schnitt nicht länger als 2 Sekunden und seitenlanges Kleingedrucktes lesen und verstehen nur Wenige. Wenn die Politik in der Vergangenheit doch einmal reagierte, dann oft aktionistisch und sprunghaft. Ihren Appellen und Ankündigungen folgten zu selten Taten. Das lag auch daran, dass zwar ein Ministerium den Verbraucherschutz im Namen führte, aber die Zuständigkeit für verbraucherrelevante Gesetze häufig bei anderen Ministerien lag. Selbst wenn die bisherigen Verbraucherschutzminister gewollt hätten, sie hatten kaum je die Kompetenz, wirklich initiativ zu werden.

All dies haben wir jetzt geändert! Die Zusammenführung der Verbraucherpolitik mit dem Justizministerium stärkt den Verbraucherschutz. Zum einen bestehen zwischen Verbrauchern und Unternehmen vielfach vertragsrechtliche Beziehungen, für die das Justizressort originär zuständig ist, zum anderen prüft das Justizministerium sämtliche Gesetzentwürfe der Bundesregierung und kann nun bei allen Vorhaben die Belange der Verbraucher geltend machen. Damit dies bestens gelingt, habe ich mir zwei der profiliertesten Verbraucherschützer Deutschlands in mein Team geholt: Ulrich Kelber, den bisherigen Sprecher des SPD-Verbraucherforums, als Parlamentarischen Staatssekretär und Gerd Billen, viele Jahre Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands, als beamteten Staatssekretär. Gemeinsam geben wir der Verbraucherpolitik eine neue Richtung.

Die Anliegen und Probleme der Verbraucher sind so vielfältig wie das Leben selbst, ältere Menschen sind anderen Gefahren ausgesetzt als Teenager und der Wechsel des Telefonanbieters ist nicht mit den gleichen Risiken wie ein Aktienkauf verbunden. Damit die Politik die jeweils richtigen Entscheidungen treffen kann, braucht sie verlässliche Analysen und eine solide Verbraucherforschung. Voraussetzung für eine evidenzbasierte Politik ist auch eine kluge Beratung, deshalb werden wir einen Sachverständigenrat für Verbraucherfragen schaffen, der Experten aus Wissenschaft und Praxis zusammenführen und mein Ministerium kompetent beraten wird.

II. Unser Ziel: Schutz und Vorsorge, Transparenz und Selbstbestimmung

Wo Verbraucher sich nicht selbst schützen können oder überfordert sind, muss der Staat Schutz und Vorsorge bieten. Staatliche Regulierung ist vor allem dort erforderlich, wo es um Vertrauensgüter geht, zum Beispiel bei Finanzgeschäften wie der Anlage der Ersparnisse für eine private Altersvorsorge. Fehlentscheidungen können hier gewaltige Auswirkungen haben und lassen sich selten korrigieren, zugleich hat aber kaum ein Verbraucher das Expertenwissen, um die Risiken dieser Geschäfte verlässlich abschätzen zu können. In solchen Fällen müssen die Menschen darauf vertrauen können, dass sie der Staat vor Irreführung, Täuschung oder Betrug wirksam schützt. Unsere Politik wird zugleich dafür sorgen, dass Verbraucher eigenverantwortlich und selbstbestimmt handeln können. Beratung, Bildung und Information sind notwendig, um die Informationsasymmetrie zwischen Unternehmen und Verbrauchern zu verringern. Dabei müssen Produktinformationen kurz, verständlich und vergleichbar sein, wenn sie helfen sollen, sich zwischen verschiedenen Angeboten zu entscheiden; andernfalls sind sie nur Nebelkerzen, die nur rauchen, aber kein Licht ins Dunkel bringen. Dabei geht es längst nicht nur um den Vergleich von Preisen, viele Verbraucher achten bei Produkten und Unternehmen auch auf die Einhaltung hoher ökologischer, sozialer und ethischer Standards. Kluge Informationen und klare Kennzeichnungen stärken die Marktmacht der Verbraucher und geben ihnen die Chance, durch eine "Politik mit den Einkaufswagen" sich für die Produkte zu entscheiden, die nicht nur günstig sind, sondern auch die Umwelt schonen, den Datenschutz respektieren und unter fairen Arbeitsbedingungen produziert werden.

III. Privatheit und Fairness in der digitalen Welt

Verbraucherschutz in der digitalen Welt bedeutet vor allem den Schutz von Privatheit im Netz und mehr Fairness im Wirtschaftsleben. Die geplante Datenschutz-Grundverordnung der EU wird das zentrale Instrument zum Schutz der persönlichen Daten im Netz sein. Das EU-Recht wird für alle Unternehmen gelten, die in Europa Produkte und Dienstleistungen anbieten - und zwar unabhängig davon, ob sie eine Niederlassung oder überhaupt einen Server in Europa stehen haben. Unterschiedliche Datenschutzregelungen oder Datenschutzoasen wird es dann in der EU nicht mehr geben. Dies stärkt auch die Wettbewerbsfähigkeit europäischer Unternehmen. Wir brauchen einfache und verständliche Informationen für die Verbraucher, zum Beispiel in Form neuer Symbole oder Piktogramme. Wenn es hier gelingt, neue Standards zu setzen, kann künftig jeder auf Anhieb erkennen, wie ein Online-Dienst mit den Daten seiner Kunden umgeht. Auch die Wirtschaft ist gefordert, damit Privacy by Design und by Default nicht nur Schlagworte bleiben. Schon beim Design neuer digitaler Produkte muss der Schutz der persönlichen Daten mitbedacht und die datenschutzfreundlichste Voreinstellung muss zum Normalfall werden. Notwendig sind aber nicht nur gute Gesetze, wir müssen auch sicherstellen, dass die Vorschriften auch eingehalten werden. Wir werden deshalb das Gesetz über Unterlassungsklagen ändern. Künftig bekommen Verbraucherorganisationen das Recht, bei Verstößen gegen den Datenschutz Klage zu erheben. Wenn ein Anbieter die Daten seiner Kunden missbraucht, wenn er sie unzulässig nutzt oder gar weiterverkauft, dann ist das für den einzelnen Verbraucher zwar ärgerlich, aber nur wenige nehmen bisher die Mühe und die Kosten auf sich, dagegen zu klagen. In solchen Situationen brauchen die Internetnutzer einen starken Anwalt ihrer Interessen, und das sind die Verbraucherorganisationen. Sie sollen künftig das Recht haben, Klage zu erheben. Diejenigen, die den Datenschutz und die Privatsphäre ihrer Kunden verletzen, können dann nicht länger darauf hoffen, einfach davonzukommen. Scoring liegt an der Schnittstelle zwischen Datenschutz und Fairness im Wirtschaftsleben. Alle Unternehmen, die anhand von Kundendaten die Bonität von Verbrauchern einschätzen, sollen verpflichtet werden, dies den Behörden zu melden. Wir müssen sicherstellen, dass das vermeintlich objektive Scoring nicht einzelne Verbraucher ungerechtfertigt benachteiligt.

Fairness im Netz bedeutet auch: Der Grundsatz der Netzneutralität, also der diskriminierungsfreie Transport aller Datenpakete im Internet, muss gesichert sein. Wir wollen auch mehr Rechtssicherheit im Netz. Das bloße Anschauen, das Streamen, von Videos über Webbrowser ist keine Urheberrechtsverletzung. Um Nutzer vor unberechtigten Abmahnungen zu schützen, brauchen wir eine entsprechende Klarstellung im europäischen Urheberrecht. Auch dort, wo es berechtigte Abmahnungen gibt, müssen wir die Belange der Nutzer im Blick behalten und sicherstellen, dass nicht kleine Verstöße zu enormen Kostenlasten führen. Wir werden deshalb prüfen, ob die gesetzliche Deckelung der Streitwerte bei der Abmahnung wegen urheberrechtlicher Verstöße ausreichend ist.

IV. Bezahlbare Mieten und mehr Sicherheit für Bauherren

Deutschland ist ein Mieterland. Nirgendwo sonst in Europa wohnen so viele Menschen zur Miete wie in Deutschland. Vor allem in den Innenstädten führen jedoch rasante Preisanstiege bei der Wiedervermietung frei gewordener Wohnungen dazu, dass dort bezahlbarer Wohnraum knapp und die bisherige Wohnbevölkerung verdrängt wird. Um dies zu verhindern, schaffen wir eine Mietpreisbremse. Bei einer Wiedervermietung soll künftig der zulässige Mietpreis maximal 10 Prozent über der ortsüblichen Vergleichsmiete gedeckelt werden. Zugleich werden wir bei den Kosten für den Makler das Bestellerprinzip einführen. Dann wird nicht mehr der Mieter, sondern der Vermieter die Kosten für den Makler tragen, wenn er einen Makler einschaltet. Auch Eigentümer können Verbraucher sein, die rechtlichen Schutz brauchen. Der Bau eines Hauses oder der Kauf einer Wohnung sind in der Regel die größten Investitionen privater Haushalte. Gibt es unerwartete Mehrkosten, wird ein Bau nicht rechtzeitig fertig oder gerät ein Bauunternehmen in die Insolvenz, kann das für die Verbraucher gravierende Konsequenzen haben. Mit dem Ausbau des Verbraucherschutzes im Bauvertragsrecht wollen wir diese Risiken verringern und begrenzen. Das wird kein einfaches Vorhaben und nicht kurzfristig gelingen, aber im Interesse der Verbraucher müssen wir hier endlich vorankommen.

V. Schutz statt Abzocke auf den Finanzmärkten

Die Risiken vieler Finanzprodukte sind für Verbraucher häufig kaum absehbar, die Folgen einer Fehlentscheidung können aber existenzgefährdend sein. Staatlicher Schutz ist deshalb hier besonders wichtig. Bislang prüft die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungen (BaFin) Finanzprodukte darauf, dass sie die Zahlungsfähigkeit von Banken, Finanzdienstleister und Versicherung nicht gefährden. In Zukunft soll die Finanzaufsicht auch den kollektiven Schutz der Verbraucher stärker in den Focus nehmen. Die BaFin soll die Möglichkeit erhalten, den Vertrieb komplexer und intransparenter Finanzprodukte zu beschränken oder zu verbieten, wenn die für Anleger unverhältnismäßig riskant sind. Wir wollen außerdem die Honorarberatung stärken. Berater, die sich durch ein Honorar des Verbrauchers statt durch Provisionen der vermittelten Produkte finanzieren, können ihre Kunden unabhängiger beraten, weil sie bei ihren Empfehlungen stärker die Interessen der Kunden aber nicht die eigene Provision im Kopf haben. Verbraucherschutz ist aber nicht nur bei Anlagegeschäften nötig, sondern auch im Alltag, zum Beispiel bei Überziehungskrediten. Wegen der sehr hohen Dispo-Zinsen kann ein überzogenes Girokonto für viele Bankkunden zur Schuldenfalle werden. Wir wollen die Kunden vor bösen Überraschungen und übermäßigen Belastungen bewahren. Jeder Kunde sollte genau wissen, wann er in den Dispo-Kredit gerät und welche Kosten das mit sich bringt. Sinnvoll ist deshalb ein Warnhinweis der Bank beim Übertritt in den Dispokredit. Steckt ein Verbraucher dauerhaft tief im Dispo, sollte die Bank ihm auch eine Beratung über kostengünstige Alternative anbieten müssen. Außerdem setzen wir uns dafür ein, dass es mehr Transparenz bei den Dispozinsen gibt, dann können Verbraucher die Zinssätze leichter vergleichen und bewusst auswählen, wo sie ihr Konto eröffnen. Weil heute im Berufs- und Wirtschaftsleben fast niemand mehr ohne ein Girokonto auskommt, muss auch jeder die Möglichkeit haben, ein Konto zu eröffnen. Wir brauchen deshalb einen Rechtsanspruch auf ein "Girokonto für Jedermann" und unterstützen die entsprechende EU-Richtlinie.

VI. Marktwächter für die Verbraucher, Schlichtungsstellen bei Konflikten

Nicht alle Verbraucher haben Zeit und Möglichkeit, sich alle Informationen über Produkte und Anbieter selbst zu beschaffen. Deshalb brauchen sie verlässliche Hilfe und die bieten schon heute viele Verbraucherorganisationen. Wir wollen die Zuwendungen an die Stiftung Warentest und an den Verbraucherzentrale Bundesverband erhöhen und "Marktwächter" bei Finanzgeschäften und im Internet einsetzen. Sie sollen die Märkte beobachten, sie im Interesse der Verbraucher analysieren und bei Fehlentwicklungen rechtzeitig Alarm schlagen. Sie sollen dann die zuständigen Behörden unterrichten und die Verbraucher zuverlässig informieren, bei welchen Produkten oder Anbietern es hapert, wo Gefahren drohen oder Nachteile einkalkuliert werden müssen.

Gut informierte Verbraucher können kluge Entscheidungen treffen - trotzdem: Einzelne Konflikte zwischen Unternehmen und Verbrauchern wird es immer geben. Dann kommt es darauf an, dass Verbraucher nicht nur Rechte haben, sondern auch zu ihrem guten Recht kommen. Wir wollen die außergerichtliche Schlichtung stärken, damit Streitigkeiten kostengünstig und unkompliziert einvernehmlich beigelegt werden. Schon heute gibt es erfolgreich arbeitende Schlichtungsstellen im Bank- und Versicherungswesen sowie bei Ärger mit Reisen oder mit Anwälten. Diese Modelle möchten wir auf weitere Lebens- und Wirtschaftsbereichen ausdehnen.

Wir wollen Verbandsklagerechte ausweiten, damit Verbraucherorganisationen zum Anwalt für Verbraucher werden können, und wir müssen auch einen rationalen Diskurs über die Möglichkeiten der kollektiven Rechtsdurchsetzung führen. Wenn Schäden bei den einzelnen Verbrauchern so gering sind, dass kein einzelner deswegen Klage anstrengt, aber Unternehmen wegen der Vielzahl der Geschädigten in der Summe dennoch stattlichen Profit daraus schlagen, muss das Rechtssystem Möglichkeiten bieten, einzuschreiten, damit rechtswidriges Verhalten sich wirtschaftlich nicht lohnt.

Schutz und Vorsorge für die Verbraucher, ihre verlässliche Beratung, Bildung und Information, ein Höchstmaß an Selbstbestimmung und Marktmacht sowie eine effektive Durchsetzung der Verbraucherrechte - dies sind die Ziele meiner Politik und dafür arbeite ich als Bundesminister der Justiz und für Verbraucherschutz.