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Aktuelles

16.01.2020 | Steuerung und Fehlsteuerung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik

Umsteuern in der Agrarpolitik: SPD für eine Neuausrichtung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik (GAP)

Carmen Gerner, Referentin beim SPD-Parteivorstand

In der öffentlichen Wahrnehmung spielt die europäische Agrarpolitik oftmals keine zentrale Rolle, nicht einmal vor der Europawahl. Dabei ist zum einen jede und jeder Einzelne davon betroffen und eine enorme Summe des gesamten EU-Haushalts fließt in diesen Bereich. Zum anderen läuft in der europäischen Agrarpolitik Vieles schief. Die SPD fordert daher eine grundlegende Reform.

Der Agrarhaushalt der Europäischen Union beläuft sich für den Zeitraum 2014–2020 auf aktuell rund 373?Milliarden Euro und ist mit einem Anteil von 38 % der größte Topf innerhalb des gesamten EU-Budgets. Für Deutschland bedeutet dies rund 6,2 Milliarden Euro Agrarförderung – jährlich. Kürzungen sind künftig allerdings unumgänglich, weil mit Großbritannien ein Nettozahler aus der EU aussteigt und die Union zusätzlich neue Aufgaben schultern soll. Für die neue EU-Finanzierungsperiode 2021–2027 werden mit bis zu 368 Milliarden Euro für die Landwirtschaft gerechnet – immer noch ziemlich viel Geld, mit dem viele sehr unterschiedliche Aufgaben geschultert werden sollen. Die Erwartungen sind hoch und vor allem vielfältig.

Ziel der Gemeinsamen Agrarpolitik (GAP) der EU ist seit dem Beginn im Jahr 1962 die Menschen in Europa mit ausreichend Nahrungsmitteln zu angemessenen Preisen zu versorgen. Außerdem wollte man die Einkommen der Landwirtinnen und Landwirte sichern und der ländlichen Bevölkerung eine angemessene Lebenshaltung gewährleisten. Diese Ziele sind im Wesentlichen die Rechtfertigung für die Direktzahlungen, die aus der sogenannten ersten Säule gespeist werden. Während in der Vergangenheit vor allem kleinere familiär geprägte Agrarbetriebe unterstützt werden sollten, kommt dieses Geld nun infolge des landwirtschaftlichen Strukturwandels und der Auszahlung als Flächenprämie vor allem Großbetrieben zugute: 80?% der Mittel aus der ersten Säule gehen an 20?% der Betriebe! Nicht selten wird das Geld nicht zur Stärkung der Bewirtschaftung der Flächen verwendet, sondern dient der Vermögensbildung einzelner außerlandwirtschaftlicher Flächeneigentümer oder Investoren. Gerade nach der Finanzkrise wurde Boden ein attraktives Anlagenobjekt und wird nun durch die Flächenzahlungen aufgrund von Eigentum staatlich verzinst. Während in anderen Bereichen staatliche Leistungen nur unter strengen Auflagen und völliger Transparenz der Finanzsituation des Empfängers gewährt werden, wird hier ein bedingungsloses Grundeinkommen unterstützt, was bereits vom Europäischen Rechnungshof bemängelt wurde. Die Basisprämienregelung ist für viele Inhaber landwirtschaftlicher Betriebe eine wichtige Einkommensquelle, sie berücksichtigt aber weder die Marktbedingungen noch die Nutzung der landwirtschaftlichen Fläche oder die individuellen Umstände des Betriebes und beruht auch nicht auf einer Analyse der Gesamteinkommenssituation von Betriebsinhabern.

Ziel erreicht – Neuausrichtung dringend nötig

Dieses System der an die Fläche gekoppelten Direktzahlungen ist angesichts der heutigen Herausforderungen überholt, gesellschaftlich nicht mehr vermittelbar und sorgt für extreme Verwerfungen innerhalb der Landwirtschaft. Die in den 60er Jahren anvisierten Ziele wurden erreicht, nun müssen neue Parameter über den Erhalt der Gelder bestimmen. Verbraucher und Verbraucherinnen sowie die Steuerzahler/innen haben heute andere Ansprüche an die GAP. In der nun anstehenden Verhandlungsrunde für den EU-Haushalt 2021–2027 muss sich der Wunsch der Gesellschaft nach einer nachhaltigeren Landwirtschaft viel stärker wiederfinden, die Zahlungen müssen zielgenauer verteilt werden.

Viele Landwirtinnen und Landwirte, die ihre Betriebe auf eine nachhaltigere Produktion umstellen wollen, kommen finanziell nicht über die Runden, obwohl genau diese Umstellung gesellschaftlich gewünscht ist. Dementsprechend sollte in einer GAP-Reform das Prinzip öffentliches Geld für öffentliche Leistungen gelten. Ziel ist nicht die Kürzung der Agrarförderung, sondern deren Bindung an Kriterien, die den Menschen in den ländlichen Betrieben, den ländlichen Regionen sowie dem Tier- und Umweltschutz zugutekommen. Die Größe des Betriebes darf keine Rolle spielen.

Eine gute Agrarpolitik umfasst aber mehr als die Verteilung von Geld. Geradezu eine Herkulesaufgabe bei 27 Mitgliedstaaten ist der Blick über den buchstäblich eigenen Tellerrand auf die Auswirkungen der regionalen Märkte in den Absatzländern. Wenn diese weiter unter der Last der hochsubventionierten europäischen Agrarprodukte und Lebensmittelexporte zusammenbrechen, hat die EU ihr selbst gesetztes Klassenziel für die Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der UN (Sustainable Development Goals) verfehlt.

Gülle kostet Geld

Die Dringlichkeit der Umwelt- und Klimaprobleme erreicht ein nie dagewesenes Ausmaß. Erkennt man die planetaren Grenzen der ökologischen Zumutbarkeit an, muss sich dies auch in einer gemeinsamen europäischen Agrarpolitik und der Verwendung der Gelder spiegeln. Angesichts der aktuellen Debatte um die Überdüngung der Böden und die damit verbundene Belastung des Grundwassers zeigt sich, dass die Landwirtschaft mehr für Umwelt- und Ressourcenschutz tun muss. Ein Verfahren gegen die Bundesrepublik Deutschland vor dem Europäischen Gerichtshof wegen zu hoher Nitratwerte im Grundwasser hat die EU gewonnen. Es geht um unser Lebensmittel Nummer 1, das Trinkwasser, und um die Gesundheit der Menschen. Nitrat gelangt vor allem dann ins Grundwasser, wenn an der Oberfläche zu viel Gülle und stickstoffhaltiger Dünger auf den Acker ausgebracht werden. Das geschieht in der Regel in den Regionen, in denen besonders viel Vieh gehalten wird und damit auch besonders viel Gülle anfällt, sowie in Gebieten mit intensivem Gemüseanbau.

In Deutschland ist das zentrale Element zur Umsetzung der Nitratrichtlinie die Düngeverordnung. Das Regelwerk ist momentan nicht geeignet, die EU von einer Verbesserung bei der Nitratbelastung zu überzeugen. Wenn Deutschland hier keinen weiter gehenden Maßnahmenkatalog vorlegt, drohen empfindliche Strafzahlungen – genau 857.000?Euro pro Tag, zu zahlen aus dem Haushalt des zuständigen Ministeriums von Frau Klöckner.

Die Landwirtinnen und Landwirte sehen sich von den Vorgaben aus Brüssel zu sehr drangsaliert, die EU konstatiert mangelnde Bereitschaft und fordert mehr Verantwortung für die ökologischen Belange zu übernehmen. Alle Seiten haben also ihren Ärger in der jüngeren Vergangenheit öffentlich gezeigt.

Ein Blick in die Medien verdeutlicht, dass Umweltschutz längst kein Elitenthema mehr ist. Auch bei der Frage der Belastung von Grund und Boden geht es um Generationengerechtigkeit. Sauberes Trinkwasser zu bezahlbaren Preisen steht an erster Stelle. Andererseits können landwirtschaftliche Betriebe nicht von jetzt auf gleich zuverlässig hochwertige Lebensmittel zur Verfügung stellen und nebenbei ihre Bewirtschaftung nachhaltiger ausrichten. Hier muss Politik die Landwirtschaft mehr unterstützen.

Richtigerweise ist die Nitratrichtlinie und deren Einhaltung europäisches Fachrecht zum Schutz des Trinkwassers, während es sich bei der GAP um ein Politikfeld zur Förderung der landwirtschaftlichen Betriebe und der Entwicklung ländlicher Räume handelt, mit speziell austarierter Förderungspolitik.

Wenn aber die Europäische Kommission am Beispiel der deutschen Umsetzung der Nitratrichtlinie sieht, wie hart die Bretter für eine ökologischere Ausrichtung der Landwirtschaft sind, die es zu bohren gilt, und hier zu Recht auf Nachbesserung pocht, müsste sie das in der Gesamtschau als weiter gehenden Handlungsauftrag verstehen. Mit der Ausrichtung der neuen Haushaltsperiode hat die Kommission nun die Chance, steuernd und unterstützend einzugreifen.

Motiv, Mittel und Gelegenheit zum Umsteuern

Mit den am 1.?Juni 2018 vorgelegten Vorschlägen zur Reform der europäischen Agrarpolitik bleibt die EU leider weit hinter den Erwartungen zurück. Die Landwirtinnen und Landwirte haben die Schlüsselrolle bei der Versorgung der Gesellschaft. Sie brauchen aber gezielte finanzielle Unterstützung, wenn der Wunsch der EU und auch der Gesellschaft nach nachhaltigerem Wirtschaften, vor allem nach mehr Tierwohl, stärker berücksichtigt werden soll.

Die EU muss ambitionierte Kriterien für eine Ökoleistungsprämie festlegen, um die biologische Vielfalt und den Klima-, Gewässer-, Boden- und Ressourcenschutz zu stärken. Diese Prämie muss landwirtschaftliche Betriebe gezielt darin unterstützen mit einfachen Maßnahmen einen wichtigen Beitrag für mehr Umwelt-, Natur- und Klimaschutz zu leisten.

Angesichts der wachsenden Spannung beim Thema landwirtschaftliche Nutztierhaltung brauchen wir ein europäisches Programm für den Umbau derselben. Damit sollen die Nutztiere mehr Platz, Tageslicht, bessere Luft und vielfältiges Beschäftigungsmaterial sowie Weidegang bzw. Auslauf erhalten. Zwangsläufig würde sich die Anzahl der Tiere verringern. So könnten die mit öffentlichen Mitteln finanzierten Landwirte, die in eine tierschutzgerechtere Haltung einsteigen wollen, unterstützt werden.

Auch bei einem durch den Brexit minimierten Haushalt hätte die Kommission nun Motiv, Mittel und Gelegenheit zum Umsteuern: weg von der Flächenprämie hin zu einer leistungsbezogenen Förderung. Sie sollte diese Chance nutzen.